Einleitung
Seit dem 01.06.2022 gilt die von der EU-Kommission erlassene neue Vertikal-GVO (VO EU 720/2022), zu deren Erläuterung die Kommission ebenfalls umfangreiche Vertikal-Leitlinien (2022/C 248/01) herausgegeben hat.
Was ist die vertikale Gruppenfreistellungsverordnung?
Grundsätzlich sind Vereinbarungen, die den Wettbewerb einschränken nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verboten. Nach Art. 101 Abs. 3 AEUV können Wettbewerbsbeschränkungen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein.
Die Vertikal-GVO stellt für gewisse Vereinbarungen im Bereich des Vertriebs klar, dass sie vom Verbot aus Art. 101 Abs. 1 AUEV freigestellt sind.
Die wichtigsten Änderungen gegenüber der alten Vertikal-GVO (VO EU 330/2010)
Die neue Vertikal-GVO ist stark an der bis zum 31.05.2022 gültigen alten Vertikal-GVO orientiert, wobei sich insbesondere im Bereich des Online-Vertriebs einige Neuerungen auftun und die Vertikal-LL wesentlich umfangreicher geworden sind. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Änderungen für den Bereich des Warenvertriebs.
Die Grundvoraussetzungen für die ausnahmsweise Zulässigkeit von vertikalen Vereinbarungen gelten unverändert fort:
- Der Marktanteil des Herstellers darf auf seinem Verkaufsmarkt 30% nicht überschreiten, das gleiche gilt für den Händler auf seinem Nachfragemarkt (Art. 3 Vertikal-GVO)
- Die Vereinbarung darf keine Kernbeschränkungen nach Art. 4 Vertikal-GVO enthalten, etwa die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzulegen
- Die Vereinbarung darf keine Klauseln nach Art. 5 Vertikal-GVO enthalten, die isoliert nicht von der Gruppenfreistellung erfasst sind.
Die Änderungen im Einzelnen
Stillschweigende Verlängerung von Wettbewerbsverbotsklauseln
Grundsätzlich müssen Wettbewerbsverbote nach Art. 5 Abs. 1 Lit. a) Vertikal-GVO auf maximal fünf Jahre befristet sein, sie können nun aber über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus stillschweigend verlängert werden, wenn der Händler mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten die Vereinbarung wirksam neu aushandeln oder kündigen kann.[[i]]
Plattformverbote
Bisher war umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen Hersteller ihren Händlern untersagen dürfen, ihre Produkte auf bestimmten Online-Marktplätzen anzubieten. Die neue GVO stellt nun klar, dass Hersteller ihren Abnehmern die Nutzung von Online-Marktplätzen gänzlich verbieten dürfen, solange der Abnehmer noch einen eigenen Online-Shop betreiben und online werben darf.[[ii]]
Dualer Vertrieb
Auch im Bereich des dualen Vertriebs ergeben sich einige Neuerungen. Dualer Vertrieb meint, dass ein Hersteller und nun auch Importeur oder Großhändler seine Produkte sowohl über Händler vertreibt als auch selbst als Händler in Erscheinung tritt. Hier steht der Hersteller/Importeur/Großhändler in einem vertikalen und einem horizontalen Verhältnis zum Abnehmer.
Wettbewerbsverbote zwischen Händler und Hersteller, Importeur oder Großhändler sind in diesem Bereich nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Vertikal-GVO freigestellt.
Ein Informationsaustausch zwischen Hersteller, Importeur oder Großhändler und Händler ist in diesem Bereich nach Art. 2 Abs. 5 Vertikal-GVO allerdings nur freigestellt, soweit es sich um Informationen handelt, die die Umsetzung der Vertriebsvereinbarung betreffen oder zur Verbesserung von Produktion oder Vertrieb erforderlich sind.
Exklusive Gebietszuweisungen
Für Klarheit sorgt die neue GVO auch bei exklusiven Gebietszuweisungen von Herstellern an Händler: Nach Art. 4 lit. b. i) Vertikal-GVO darf der Hersteller seinen Händlern den aktiven Verkauf in einem Gebiet oder an eine Kundengruppe untersagen, wenn er das Gebiet oder die Kundengruppe sich selbst oder bis zu fünf Alleinvertriebshändlern zugewiesen hat.
Aktiver Verkauf meint die Bewerbung eines Marktes, in etwa durch Werbung oder Produktinformationen.
Der passive Vertrieb oder Verkauf, das heißt zum Beispiel, dass sich ein Kunde aus dem einen exklusiv zugewiesenen Vertriebsgebiet an einen Händler aus einem anderen Exklusivgebiet wendet, darf nach wie vor nicht verboten werden.
Durchreichen von Kunden- oder Gebietsbeschränkungen
Während es Herstellern nach der alten Vertikal-GVO untersagt war, Kunden- oder Gebietsbeschränkungen über mehrere Ebenen der Vertriebskette aufrecht zu halten, dürfen sie diese nun auf die nächste Vertriebsebene durchreichen, ein Hersteller kann also etwa einen Großimporteur verpflichten, dass dieser seine Abnehmer dazu verpflichtet, die Kunden- oder Gebietsbeschränkungen einzuhalten.
Eine Beschränkung von Abnehmern auf den nachfolgenden Ebenen der Vertriebskette ist unzulässig.[[iii]]
Preisgestaltung
Ein Doppelpreissystem (dual pricing) für Online- und Offlinehandel war nach der alten Vertikal-GVO eine unzulässige Kernbeschränkung, nun ist es unter der Voraussetzung zulässig, dass dadurch die tatsächliche Preisdifferenz zwischen stationärem Handel und Online-Vertrieb abgebildet wird. Die Benutzung eines Doppelpreissystems zur Unterbindung des Online-Vertriebs oder mengenmäßigen Beschränkung von online angebotenen Produkten bleibt hingegen unzulässig.[[iv]]
Praxishinweis
Vereinbarungen, die bis zum 31.05.2022 getroffen wurden und nach der alten Vertikal-GVO (VO EU 330/2010) gültig waren, nach der neuen GVO aber nicht freigestellt sind, gelten nach Art. 10 Vertikal-GVO bis zum 31.05.2023 fort. Danach sind sie unwirksam.
Es ist also ratsam, bis zum Ablauf der Übergangsvorschrift alte Vertriebsvereinbarungen auf ihre Gültigkeit zu untersuchen und nach neuem Recht zu überarbeiten.
Fazit
In der neuen Vertikal-GVO sind viele Klarstellungen enthalten und notwendige Anpassungen an die durch den hybriden Vertrieb neuen Gegebenheiten vorgenommen worden. Durch die ausführlichen Vertikal-Leitlinien ist auch der von der Kommission versprochene „sichere Hafen“ der Rechtssicherheit errichtet worden, sodass für die nächsten Jahre Klarheit über die Do’s und Don’ts im Bereich des Vertriebs herrschen sollte.
Hinweis
Wir möchten darauf hinweisen, dass die allgemeinen Informationen in diesem Newsletter eine Rechtsberatung im Einzelfall nicht ersetzen.