Einleitung
Nachdem das viel diskutierte und lange erwartete „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“ oder kurz „Hinweisgeberschutzgesetz – HinSchG“ am 16. Dezember 2022 vom Bundestag verabschiedet worden war, ist es am 10. Februar 2023 an der fehlenden Zustimmung des Bundesrats – vorerst – gescheitert.
Zur Erinnerung: Das HinSchG soll die sogenannte europäische Whistleblower-Richtlinie (RL (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019) umsetzen. Dies hätte gemäß Richtlinie schon bis 17. Dezember 2021 erfolgen müssen. Deutschland hat die Frist versäumt, am 27. Januar 2022 leitete die EU-Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.
Nun hat sich die Umsetzung der Richtlinie zwar erneut verzögert und die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Klar ist aber: Vom Tisch ist das HinSchG damit nicht. Der Gesetzgeber bleibt verpflichtet, die EU-Whistleblower-Richtlinie schnellstmöglich umzusetzen und selbst wenn der Gesetzesentwurf jetzt noch einmal Veränderungen erfahren dürfte: Zumindest die Bestimmungen der EU-Richtlinie müssen als Mindeststandard umgesetzt werden. Folglich stehen im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag, in den das Gesetz nun gehen dürfte, nur solche Regelungen zur Disposition, die über die EU-Richtlinie hinausgegangen wären.
Aber auch in Deutschland kann die EU-Whistleblowing-Richtlinie trotz nicht fristgerechter Umsetzung bereits jetzt rechtliche Wirkungen entfalten. Zwar müssen nur öffentliche, nicht aber private Arbeitgeber davon ausgehen, dass Richtlinien-Bestimmungen unmittelbar angewendet werden können. Allerdings haben Gerichte auch in privaten Rechtsverhältnissen nationale Regelungen schon jetzt richtlinienkonform auszulegen.
Arbeitgeber sollten sich (spätestens) jetzt mit den nur vorläufig nicht umgesetzten Bestimmungen auseinandersetzen. Ein Überblick:
Wesentliche Inhalte des Entwurfs zum HinSchG
Ziele und sachlicher Anwendungsbereich
- Das HinSchG soll Personen schützen, die bestimmte, im Gesetz genau beschriebene, Verstöße melden oder offenlegen (sog. Whistleblower).
- Zu diesen Verstößen gehören Straftaten, Ordnungswidrigkeiten, soweit sie dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dienen, und eine Vielzahl spezifisch genannter sonstiger Taten.
- Ebenfalls geschützt werden sollen Personen, die Gegenstand einer solchen Meldung oder Offenlegung oder hiervon betroffen sind.
Meldestelle
- Whistleblower sollen die Wahl haben, ob sie den Verstoß einer internen oder einer externen Meldestelle melden wollen.
- Arbeitgeber mit mindestens 50 regelmäßig Beschäftigten müssen eine interne Meldestelle einrichten, an welche sich ihre Beschäftigten wenden können. Arbeitgeber mit 50 bis 249 Beschäftigten soll(t)en hierfür bis zum 17. Dezember 2023 Zeit haben. Mehrere private Arbeitgeber mit 50 bis 249 regelmäßig Beschäftigten können auch eine gemeinsame interne Meldestelle errichten. Unabhängig von der Größe haben zudem bestimmte im Gesetzesentwurf aufgezählte Organisationen und Unternehmen eine Meldestelle einzurichten (z.B. Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute).
- Die Meldestelle kann eingerichtet werden, indem eine bei dem Arbeitgeber beschäftigte Person oder eine aus mehreren Personen bestehende Arbeitseinheit (z.B. die Compliance-Abteilung) mit den Aufgaben der internen Meldestelle betraut wird, wenn die hierfür erforderliche Fachkunde vorhanden ist. Alternativ kann ein (fachkundiger) Dritter mit der Übernahme der Aufgaben der internen Meldestelle beauftragt, diese also „outgesourct“ werden. Auch die Einrichtung eines elektronischen Meldesystems ist denkbar.
- Personen, die mit den Aufgaben einer internen Meldestelle beauftragt werden, sind in der Ausübung ihrer Tätigkeit unabhängig. Es muss sichergestellt werden, dass sie aufgrund einer ggf. ausgeübten weiteren Tätigkeit nicht in einen Interessenkonflikt geraten können.
Bearbeitung der Meldungen
- Meldungen müssen anonym möglich sein und bearbeitet werden.
- Die Meldung muss mündlich oder in Textform ermöglicht werden, auf Verlangen des Whistleblowers auch im Rahmen einer persönlichen Zusammenkunft.
- Die Meldestelle muss dem Whistleblower die Meldung innerhalb von sieben Tagen bestätigen und ihn innerhalb von drei Monaten über die auf die Meldung hin ergriffene Maßnahmen informieren.
- Das Bundesamt für Justiz errichtet als Alternative zur internen Meldestelle eine externe Meldestelle des Bundes. Außerdem kann jedes Bundesland eine eigene externe Meldestelle einrichten.
Schutz des Whistleblowers
- Meldungen müssen grundsätzlich vertraulich behandelt werden. Das gilt allerdings nicht, soweit der Whistleblower vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen über Verstöße meldet.
- Der Whistleblower kann nicht für die Verwendung von Informationen, die er gemeldet oder offengelegt hat, verantwortlich gemacht werden, sofern hierin nicht eine Straftat liegt.
- Der Whistleblower kann nicht für die Weitergabe von Informationen zur Verantwortung gezogen werden, wenn er hinreichend Grund zur Annahme hatte, dass diese erforderlich war, um den Verstoß aufzudecken.
- Repressalien gegen den Whistleblower sind verboten, hieraus entstehender Schaden ist zu ersetzen.
- Erleidet ein Whistleblower nach der Meldung oder Offenlegung eines Verstoßes eine Benachteiligung im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit, so wird (widerleglich) vermutet, dass diese eine – verbotene – Repressalie ist. Der Arbeitgeber (bzw. die benachteiligende Person) muss im Streitfall das Gegenteil beweisen. Praktisch relevant könnte dies insbesondere im Hinblick auf Kündigungen und sonstige arbeitsrechtliche Maßnahmen werden. Aufgrund dieser Regelung besteht die Gefahr, dass ein Whistleblower versucht, sich durch Anzeige eines eigenen „Verstoßes“ im Sinne des HinSchG selbst Kündigungsschutz zu verschaffen.
Unmittelbare Geltung der Whistleblowing-Richtlinie für Arbeitgeber?
Vor dem Hintergrund, dass das HinSchG nun im Bundesrat gescheitert ist und gegenwärtig unklar ist, wann und mit welchen genauen Inhalten es in Kraft treten wird, stellt sich die Frage, ob bis dahin die Regelungen der sog. europäische Whistleblowing-Richtlinie unmittelbar anzuwenden sind und Pflichten für Arbeitgeber begründen können.
Private Arbeitgeber
Ohne Umsetzung in nationales Recht gilt die Whistleblowing-Richtlinie nicht für private Arbeitgeber. Es ist also rechtlich nicht zwingend erforderlich, bereits jetzt interne Meldestellen zu implementieren, die den Anforderungen der Whistleblowing-Richtlinie gerecht werden.
Auch der Schutz vor Repressalien gilt ohne Umsetzung in nationales Recht nicht unmittelbar für Arbeitnehmer in Deutschland.
Allerdings kann sich die Whistleblowing-Richtlinie bei der Anwendung nationalen Rechts dadurch bemerkbar machen, dass die Gerichte nationale Regelungen richtlinienkonform auslegen.
Öffentliche Arbeitgeber
Anders ist dies im öffentlichen Sektor. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer EU-Richtlinie entfalten ihre Bestimmungen unmittelbare Rechtswirkung auf öffentliche Stellen, wenn durch die Richtlinie Adressaten des öffentlichen Sektors unmittelbar verpflichtet werden und die Regelungen in Tatbestand und Rechtsfolge inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind.
Hieraus wird eine Pflicht von juristischen Personen des öffentlichen Sektors gefolgert, bereits jetzt interne Hinweisgebersysteme einzurichten.
Fazit
Verpflichtete Unternehmen, die bislang noch nichts unternommen hatten, dürfen es als positive Nachricht verstehen, dass bis zum nochmals verzögerten Inkrafttreten eines HinSchG auch noch keine unmittelbare Verpflichtung zur Etablierung eines Hinweisgeberschutzsystems besteht. Jedoch ist mit der (baldigen) Richtlinienumsetzung und auch der wesentlichen Bestimmungen des derzeitigen HinSchG-Entwurfs weiterhin zu rechnen. So oder so wird von Arbeitgebern die Einrichtung eines internen Meldewesens verlangt werden. Bei allem organisatorischem Aufwand bietet ein solches System nicht nur Hinweisgebern mehr Schutz, sondern redlichen Arbeitgebern auch Chancen zur kanalisierten Aufdeckung, Sanktionierung und Vermeidung künftiger Verbotsverstöße. Ein neuer unternehmensinterner, schutzbietender und möglichst „benutzerfreundlicher“ Kanal erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Beschäftigte zunächst an die interne Stelle wenden, anstatt sofort an Dritte oder die Öffentlichkeit zu gehen. Anreize genug, sich mit dem Thema spätestens jetzt zu befassen. Rechtmäßig handelnde und gut beratene Unternehmen werden auch mit einhergehenden Herausforderungen wie beispielsweise einer Beweislastumkehr zu Lasten der Arbeitgeber umzugehen wissen (sollte derartiges umgesetzt werden). In einer solchen Situation sähen sich Arbeitgeber in arbeitsgerichtlichen Verfahren zudem auch nicht zum ersten Mal.
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Hinweis
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